Wenn die Seele das Herz krank macht – Psychokardiologie

Er hat nie geraucht, regelmäßig Sport getrieben, ab und an mal ein Bierchen in Gesellschaft getrunken, war nicht übergewichtig und zählte somit nicht zur Risikogruppe für herzinfarktgefährdete Menschen.

Trotzdem fährt der Rettungswagen den sechsundfünfzigjährigen mit Symptomen ähnlich denen eines Herzinfarktes in die nahegelegene Universitätsklinik. Nach ersten Untersuchungen lautet die Diagnose Broken-Heart-Syndrom.

Obgleich die ersten Symptome denen eines Herzinfarktes gleichen (Enge in der Brust, Atemnot), ist dieser Pseudoinfarkt nicht lebensbedrohlich, die Koronargefäße sind weder verengt noch verstopft und die Symptome klingen nach einigen Stunden wieder ab.

Ausgelöst wird er durch Stresshormone, welche kurzzeitig den Herzmuskel lähmen. Wer kenn sie nicht: Redewendungen wie z.B. »Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen.«, »Da ist mir vor Schreck das Herz stehen geblieben.« bis hin zu »Es hat mir das Herz gebrochen.«

Gespräche mit Herrn Meier ergeben, dass er unmittelbar vor dem Zusammenbruch erheblichen Stress in der Firma hatte, ein Projekt verlief nicht wie geplant, zu wenig Mitarbeiter und zu wenig Zeit standen zur Verfügung, letztes Jahr war seine Frau den Leiden einer Krebserkrankung erlegen und seine Mutter war seit geraumer Zeit ein Pflegefall, um den er sich als einziger Sohn kümmert.

Kann dieser seelische Stress auf das Herz schlagen? »Alles Hokuspokus« hätten noch vor Jahren die Wissenschaftler geantwortet, aber inzwischen hat ein neues Forschungsgebiet an Bedeutung gewonnen: die Psychokardiologie.

Am Volksmund ist wie in den meisten Fällen ein wenig Wahrheit enthalten und die wesentliche Essenz ist: Bedrohliche Gefühle (Wut, Angst, Trauer, Hass etc.), aber auch Erschöpfung, Ausweglosigkeit und Depression, ausgelöst durch psychosozialen Stress, können das Herz krank machen und z.B. wie beim Broken-Heart-Syndrom zeitweise Teile des Herzmuskels lähmen oder aber tatsächlich zu Infarkten führen.

»Aber wie kann das sein?« fragt Herr Meier, ein bisschen Stress haben wir doch alle hin und wieder mal und immerhin habe er immer gesund gelebt. Ja das hat er, jedoch stand er seit einigen Jahren unter psychischem Dauerstress für den unser Organismus nicht ausgelegt ist.

Während ganz normaler Stress hin und wieder die Alarmanlagen des Organismus auf Hochtouren bringt, schalten sich diese bei Dauerstrom gar nicht mehr ab. Unmengen von Stresshormonen (z.B. Adrenalin, Noradrenalin) attackieren den Organismus in bis zu sechsfacher Menge des Normalwertes, bringen die Kalziumregulation der Herzmuskelzelle durcheinander und können mit Blitzattacken die Pumpe lahm legen. Diagnose: Broken-Heart-Syndrom.

Herr Meier ist mit einem Schreck davon gekommen. Anders sieht es bei Frau Müller aus. Seit Jahren wird Personal eingespart, Frau Müller zunehmend mit Aufgaben betraut, die nicht ihren Fähigkeiten entsprechen, und in den wöchentlichen Besprechungen äußert sich ihr Chef ständig abfällig über sie.

Ihre Entscheidungsspielräume sind gering und der Zeitdruck zur Fertigstellung der Projekte nimmt zu. Seit einiger Zeit klagt sie über diffuse Symptome, fühlt sich erschöpft und leidet unter chronischen Schlafstörungen. All die chronischen Stressoren und ein akut persönliches Ereignis im Leben der Neunundreißigjährigen erhöhen das Risiko, einen Infarkt zu erleiden.

Ebenfalls zu den Risikofaktoren am Herzen zu erkranken gehören der Mangel an Wertschätzung und Anerkennung sowohl im Beruf als auch im Privatleben, ständige Niederlagen, zermürbende Beziehungen, Schulden, persönliche Probleme und Depressionen.

Wenn die Pumpe versagt bleibt der Motor des Lebens stehen. Deshalb ist es wichtig rechtzeitig zu handeln und den Stress in den Griff zu bekommen. Neben der Achtsamkeit für die Stressanzeichen des Körpers wie z.B. Herzrasen oder Schlafstörungen gilt diese Achtsamkeit vor allem für das tägliche Leben: Aufmerksam beobachten, umdenken, Verhalten ändern, Pausen einbauen, durchatmen, Probleme bewältigen, Trauer bearbeiten, den intelligenten Umgang mit Emotionen lernen und geeignete Bewältigungsstrategien zu erlernen.

Bei einer Entschleunigung und Stressbewältigung können sowohl Hausärzte und Therapeuten als auch Selbsthilfegruppen, Literatur und Freunde sehr hilfreich sein. Für fortgeschrittene Stadien gibt es Kliniken, in denen Gesprächstherapien und Entspannungsverfahren angewandt werden.

Selbstaufmerksamkeit ist bei der Vorbeugung einer stressbedingten Erkrankung ein wesentlicher Baustein, denn ein bekannter Spruch sagt: »Einen Infarkt erleidet man nicht, den verdient man sich«.